Bericht über die 1. Odenwaldexkursion vom 30. Juli 2022 mit Dr. Klaus Wirth

Exkursionsziele: Villa rustica Haselburg – Lengfeld – Otzberg

Auf Einladung von Harald Quante, einem langjährigen Mitglied des Förderkreises, bekamen die Teilnehmenden der ersten Odenwaldexkursion die einmalige Gelegenheit, die Villa rustica Haselburg (bei Höchst), ein Privatmuseum mit Odenwälder Volkskunst in Lengfeld und die Veste Otzberg mit leckerem Hering besichtigen zu dürfen. Lengfeld und Otzberg gehörten nach dem Reichsdeputationshauptschluss, gefasst am 25. Februar 1803, zwar nicht zu Baden, aber ab 1390 mit kurzzeitigen Unterbrechungen bis 1803 zur Kurpfalz. „Die Neuordnung des Reichs, die u. a. durch einen französisch-russischen Vertrag vorbereitet und am 25. Februar 1803 im sogenannten Reichsdeputationshauptschluss dem Reichstag zur Abstimmung vorgelegt wurde, war radikal. Von den 47 Reichsstädten wurden alle bis auf sechs mediatisiert, das heißt sie verloren ihre Selbstständigkeit und wurden Teil anderer Staaten; im Rahmen der Säkularisation verschwanden ebenfalls fast alle geistlichen Herrschaften wie Hochstifte oder Reichsabteien. Insgesamt reduzierte sich bei dieser sog. Napoleonischen Flurbereinigung die Zahl der Territorien von mehreren hundert auf etwa vierunddreißig; über drei Millionen Menschen bekamen neue Landesherren.“ (Quelle).

Vor diesem Hintergrund folgte unser Besuch dieser kurpfälzischen Enklave demnach älteren als den badischen Traditionslinien.

Um 10 Uhr (!) empfing uns das Ehepaar Schäfer im Archäologischen Park (Abb. 1) (64739 Höchst i. Odw. – Hummetroth) für die Führung über das Areal. Arno Schäfer ist Vorsitzender des Freilichtmuseums "Römische Villa Haselburg e.V.", seine Frau Cornelia ist Beisitzerin im Verein (www.haselburg.de).  

Die Anlage (Abb. 2) von ca. 3,4 ha Fläche (Länge 185,5 m, Breite 183,5 m) erhebt sich ca. 10 km südöstlich von Dieburg und ca. 11 km nordwestlich von Michelstadt auf einer Hochfläche über den Tälern von Mümling und Gersprenz. Innerhalb der mit einer Mauer umfriedeten Fläche – das Eingangstor befand sich an der Nordwestseite – stehen ein Hauptgebäude, ein Wirtschaftstrakt sowie ein Badegebäude. Etwas abseits vom Wohngebäude liegt ein Heiligtum Jupiters. Weitere Gebäudegrundrisse wurden bei geomagnetischen Untersuchungen entdeckt. Alle bei Ausgrabungen entdeckten Fundamente wurden für die Besucher*innen aufgemauert. Freigelegte Gebäudefundamente sowie erhaltenes Fundmaterial, darunter Fensterglas, bemalter Wandputz und Importwaren (Amphoren mit Olivenöl aus Südspanien) lassen den Villenbesitzer in der provinzialrömischen Oberschicht vermuten. Womit dieser dominus allerdings seine Aurei verdiente, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Für Kalkabbau, Eisenbergbau, Ziegelherstellung, Viehhaltung, Holzhandel etc. liegen nur vage Indizien vor.

Die Führung endete nach 90 Minuten im Besucherzentrum. Dort wurden einige Funde der Ausgrabungen sowie Tafeln mit dreidimensional rekonstruierten Gebäuden erläutert. Herausragendes Ausstellungsstück ist die Kopie eines 1839 in der Hypokaustenanlage des Hauptgebäudes geborgener Deckziegel, der in lateinischer Kursivschrift eine Art Lieferbestätigung enthält: „stratura tertia laterc[u]li capit[u]lares n(umerus) CCCLXXV Dritte Lage Kapitellziegel 375 Stück“. Der Originalziegel befindet sich im Hessischen Landesmuseum Darmstadt.

Die kompetente Führung im Römerlook wurde nach antikem Vorbild mit dem Genuss von appetitanregendem, verdauungsförderndem, nahrhaftem und lebensverlängerndem mulsum beschlossen. Es diente auch etwas als Doping für das noch bevorstehende Exkursionsprogramm (Abb. 3–6).

Lengfeld

Im Alten Rathaus in Lengfeld öffnete uns Gerd J. Grein (Abb. 7), der frühere Leiter des Museums auf der Veste Otzberg, die Tür zu seinem zusammen mit Hubert Alles privat betriebenen Museum mit Odenwälder Volkskultur (www.museum-lengfeld.de). Im Mittelpunkt zweier Sonderausstellungen stehen Keramiken aus dem Odenwald, aber auch Möbel, Wäschestücke, Spielzeug und Puppenstuben sowie Objekte der Volksfrömmigkeit, wie an den verschiedenen Ausführungen des Prager Jesulein zu erkennen ist. Alltagsszenen mit typischer Odenwälder Kost werden in kreativ arrangierten, teilweise mit Privatfotos dekorierten Schaukästen präsentiert. Für die Neuzeitarchäologen könnten die mit dem Malhorn verzierten (Spruch-) Teller aus dem 18. und 19. Jh. sowie ein Birnkrug aus dem frühen 19. Jh. von besonderer Bedeutung sein. Spruchbeispiele: Schöne Blumen riechen wohl, wenn man hat ein Garten voll; Gott der Schöpfer war der erste Töpfer; Bei Mädchen und Wein ist immer gut sein (Birnkrug); Schütz macht rein sein Sach was ihn acht [Abb. 8 Teller, 1717].

Die Ackerflächen (Löss) um Lengfeld haben eine sehr hohe Bodenwertzahl. Es wundert daher nicht, dass um Lengfeld herum Funde aus allen vor- und frühgeschichtlichen Epochen entdeckt wurden. Zwei Wüstungen sind in der Umgebung bekannt: Hippenheim und Unrode. Hippenheim (1220 Hufilheim) wurde 1504 in der Bairischen Fehde zerstört, Unrode wohl schon lange Jahre vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges. (Quelle)

Otzberg

Mit mulsum im Magen, Jupiter als Weggefährten und der Hoffnung auf ein baldiges Mittagessen musste die Veste Otzberg auf dem Vulkan erobert werden, was angesichts der gravierenden Höhenunterschiede (Lengfeld 201 m NHN – Otzberg 368 m NHN) und der unglaublichen Streckenlänge (ca. 2 km) zu einem schweißtreibenden Abenteuer wurde. Vielleicht wurde jetzt verständlich, was Frodo und Sam auf ihrem Weg zum Schicksalsberg durchgemacht haben, um Saurons Ring in die glühende Lava zu werfen.

An das Mittagessen à la carte (Kartoffelsalat mit Bratwurscht, Kräuterschnitzel oder Wurschtsalat) schloss sich das Bildungsprogramm an (Abb. 9). Sachkundig führte uns Dr. Axel Gleue – Flensburger, seit 50 Jahren Wahl-Hering und Autor mehrerer Publikationen über die Burganlage – durch Otzberg und Hering. Der Otzberg ist ein Restvulkan im Umfeld des sogenannten Böllsteiner Gneises. Er liegt auf einer nach ihm benannten Störungszone (Otzbergspalte), in der vor etwa 20–35 Millionen Jahren Magma emporsteigen und Vulkane wie den Otzberg bilden konnte. Geologische Relikte dieser bewegten Zeit befinden sich heute am Otzberg (Basaltsteinbruch), bei Hering (Feldspatabbau zur Porzellanherstellung, Schwerspat) und Eisenerz südlich von Hering. Die „veste“ Burg wurde wohl nach 1220 durch die Reichsabtei Fulda errichtet. Die urkundliche Ersterwähnung ist 1231. Otzberg war von Burgmannen besetzt, die von der jeweiligen Herrschaft den Auftrag wahrnahmen, die Burg zu sichern und zu verteidigen. 1622 musste die Burgbesatzung kapitulieren, 1803 gehörte die Burg zu Hessen-Darmstadt, diente als Kaserne und Staatsgefängnis, ab 1826 begann der Verfall. Der 17 m hohe, bauzeitliche Bergfried von 10 m Durchmesser und 3,5 m Mauerstärke wird umgangssprachlich „Weiße Rübe“ genannt. Von Ferne sieht er aus wie eine Bausünde aus den 1970er Jahren. Der Brunnen (Abb. 10) aus dem 14. Jahrhundert steht für die Notwendigkeit autarker Wasserversorgung für die Burgbewohner und für die Mühsal seiner Herstellung. Er ist 50 m tief und wasserführend. Es wurde beobachtet, dass sich der Brunnen nach einem Regen mit halbjähriger Verzögerung füllte. Das Seil mit dem 50 Liter fassenden Eimer aus Eichendauben ist auf einen Wellbaum (Eiche) gewickelt, der direkt mit einem Tretrad von 4,2 m Durchmesser verbunden ist. Das Tretrad stammt aus dem Jahr 1778. Es soll etwa eine halbe Stunde dauern, einen Holzeimer aus 50 m Tiefe hochzuziehen. Die teilweise ruinösen Gebäude entlang der inneren Burgmauer stammen aus dem 16. Jahrhundert (Abb. 11). Das Kommandantenhaus wurde 1574 errichtet.  

Der Rundgang durch die am Fuß vom Otzberg gelegene Siedlung Hering (wohl von Höhenring) führte an manchen architektonischen Schönheiten vorbei. Hier befanden sich ursprünglich die Burgmannen- und Ackerbürgerhöfe. Das Gruppenfoto (Abb. 12) entstand vor dem Fachwerkgebäude Burgweg 8. Die Inschrift über der Eingangstür lautet IHSK DEN IZ IVNII 1758 (…den 12. Juni 1758). IHS steht für das Nomen sacrum für JESUS (IHΣOYΣ; griech. Iota Eta Sigma), abgewandelt im Wappen der Jesuiten als Iesum Habemus Socium (Wir haben Jesus als Gefährten). Das „K“ könnte auf eine Konversion hinweisen. (Quelle)

Das Denkmalverzeichnis von Hessen führt zu diesem Gebäude Folgendes auf: „Langgezogenes zweigeschossiges Fachwerkhaus mit großer Toreinfahrt, erbaut 1758 (dat. im Türsturz). Es zeigt ein ungestörtes Gefüge mit schmalem Zwischenbund im Eingangsbereich. An den Bundpfosten halbe Mannformen mit geschweiften und eingekerbten Knaggen. Im EG zwei eingemauerte Schreckmasken, davon eine mit herausgestreckter Zunge und gebleckten Zähnen (wohl 17. Jh.) Aus baukünstlerischen und geschichtlichen Gründen ist das Haus als Kulturdenkmal zu erhalten.“ (Quelle) Im Keller befindet sich ein wassergefüllter Brunnenschacht.

An der Stelle des ehemaligen Stadttores befindet sich heute das Backhaus (Bakkes), das 1831 errichtet wurde (Abb. 13).

Der Exkursionstag endete nach einer ausgiebigen Hausbesichtigung „Am Burgmannenhaus 1“ (Abb. 14). „Von der ehemals quadratischen Hofanlage des frühen 16. Jhs. (erbaut von Boppo Gans von Otzberg) ist das zweiflügelige Wohnhaus mit massivem EG und Fachwerkobergeschoss erhalten [Wohnhaus 1539, Anbau 1549. 1572 wurde im Winkel beider Gebäudeteile ein Treppenturm mit spitzer Haube errichtet]. An dem rechten Flügel sind zwei dreiteilige Fenster mit überhöhter Mitte. Im Scheitel der Turmtür zwei geschweifte Wappenschilder der Gans von Otzberg und die Datierung 1572. Das OG zeigt ein gut erhaltenes Fachwerkgefüge mit überblatteten sich kreuzenden Streben, geschweifte genaste Streben in den Brüstungsfeldern. Im Inneren ist die ursprüngliche Raumaufteilung erhalten. Aus dem breiten Ern (Flur- und Herdraum im Erdgeschoss) mit Kamin und Holzstütze führt eine Tür mit Kielbogensturz in die Küche, in deren Mitte eine runde Sandsteinstütze steht. Über dem Herd großer Rauchfang. Die Wohnstube mit dem um drei Stufen erhöhten Alkoven (Bettnische, Schlafnische) schließt sich an. Tiefe Fensternischen sind mit flachen Stichbögen geschlossen. Im EG des Südflügels ist der Wirtschaftsraum vom Turm aus durch eine Spitzbogentür zugänglich (im Scheitel zwei herzförmige Wappenschilde). Das OG wird durch eine Wendeltreppe mit runder Spindel erschlossen. An einem langen Flur liegen die Räume, zu denen Türen mit Kielbogensturz führen. In der Mitte des Hofes ist ein Brunnenhäuschen aus offenem Fachwerk mit Walmdach. Das Burgmannenhaus ist aus ortsgeschichtlichen und baukünstlerischen Gründen als Kulturdenkmal zu erhalten.“ (Quelle)

Von „Am Burgmannenhaus 1“ ging es zurück zum Parkplatz in Lengfeld, von dort durch die verschlungenen Wege des Odenwalds in die badischen Stammlande.

Dr. Klaus Wirth (Exkursionsleiter)